Mit dem Sterben leben lernen

In der westlichen Gesellschaft wird der Tod oftmals tabuisiert und als etwas Negatives angesehen. Viele Menschen sind das erste Mal mit dem Thema Tod konfrontiert, wenn ein geliebter Mensch stirbt, sie selbst durch den Ausbruch einer schweren Krankheit oder dem plötzlichen Tod eines Bekannten einen Schritt näherkommen. Trauer äußert sich dann in verschiedenen Phasen.

Trauer

Trauer, meistens verursacht durch den Tod einer nahestehenden Person, ist ein Zustand, der das komplette Leben der Hinterbliebenen wie mit einem schwarzen Schleier überzieht. Psychischen und auch körperlichen Begleitumstände, die plötzlich auftreten, können Wochen, Monate oder sogar Jahre andauern. Sie schwanken in ihrer Heftigkeit. Als krankheitswertig wird Trauer von Experten bezeichnet, wenn diese in eine Depression übergeht. Betroffene sollten bei anhaltenden Trauerreaktionen psychotherapeutische Hilfe in Anspruch nehmen, um das Erlebte besser verarbeiten zu können.

Schmerz

Trauer äußert sich nicht alleine in Gefühlen, sondern kann auch körperliche Beschwerden auslösen. Der Tod eines geliebten Menschen, mit dem man eine lange Zeitspanne seines Lebens verbracht hat, verändert das Leben der Zurückgelassenen schlagartig. Trauer äußert sich dann nicht nur in unendlicher Traurigkeit sowie einem Verlassenheitsgefühl und einer Ohnmacht den Geschehnissen gegenüber. Trauernde Menschen berichten von auftretenden Schmerzen, Beklemmungen im Brustbereich oder auch einem zugeschnürten Hals. Auftretende Müdigkeit und gleichzeitig auftretende Schlaflosigkeit, mangelnde Energie und ein ausbleibendes Hungergefühl sind nicht selten eine weitere Folge von nicht bewältigter Trauer.

Überschäumende Gefühle

Tränen, die durch Schmerz ausgelöst werden, sind eine selbstverständliche Reaktion des Körpers, um mit dem Erlebten umzugehen. Sie sind eine Art Reinigung für die Seele. Den Tränen freien Lauf zu lassen ist für manche Menschen nicht so einfach. Vor allem Männer scheuen sich immer noch davor. Ihnen wurde schon als Kind gesagt «Ein Junge weint doch nicht». Tränen haben eine spannungslösende Wirkung auf den Körper und die Seele. Sie können wenigstens für einen kurzen Zeitraum eine gewisse Erleichterung verschaffen. Auch überspielte Traurigkeit, die in unserer Gesellschaft leider Gang und gäbe ist, äußert sich besonders stark in einsamen Stunden, wenn die Hinterbliebenen mit sich alleine sind.

In der Phase des Trauerns kann es passieren, dass eine Vielzahl an Gefühlen an die Oberfläche kommen, die für Betroffene oft schwer einzuordnen sind. So verspüren viele Trauernde neben der Sehnsucht nach dem Verstorbenen auch eine gewisse Wut. Eine Reaktion, die daher stammen könnte, dass sich der Tod nicht verhindern ließ und andererseits darin, verlassen worden zu sein. Diese aufkommende Wut, die nichts anderes ist als Hilflosigkeit, ängstigt viele Betroffene und lässt viele Frage offen.

Auch Schuldgefühle und Selbstvorwürfe können entstehen. Dies geschieht besonders, wenn der Tod des Angehörigen durch einen plötzlichen Unfall zustande kommt. Viele Hinterbliebene grübeln immer wieder darüber nach, ob sie den Tod nicht hätten verhindern können. Auch wenn Menschen jemanden durch eine Krankheit verloren haben, machen sich die Trauernden häufig Gedanken darüber, ob ein anderer Arzt eine andere Therapie nicht doch noch geholfen hätte. Trauernden wird zudem ihre eigene Vergänglichkeit bewusst. Hinterbliebene fühlen sich einsam und wissen nicht, ob sie das Leben alleine meistern können.

Wie lange dauert eine Trauerphase?

Wie viel Trauer um einen geliebten Menschen ist eigentlich angemessen? In unseren Breiten gibt es keine bestimmte Zeitspanne, wie lange und in welcher Form der entstandene Kummer nach außen getragen werden kann. Menschen aus anderen Kulturkreisen jedoch haben sehr oft eine unterschiedliche Herangehensweise, mit dem Verlust eines Angehörigen umzugehen. So feiern die Menschen in Mexiko einmal im Jahr den Tag der Toten, den Dia de los muertos. Erwachsene und Kinder verkleiden sich als Skelette und überall auf den Straßen werden kleine Altäre aufgebaut, die dazu dienen, den Toten zu ehren. Der Glaube sagt, dass in dieser Nacht die Verstorbenen zurück auf die Erde kommen, um zusammen mit ihren Familien ein Fest zu begehen.

Jamaikaner, die stark in der afrikanischen Kultur verwurzelt sind, begehen nach dem Tod eines geliebten Menschen eine neuntägige Totenwache. Dem Glauben nach sind diese neun Tage notwendig, damit der gefangene Geist den Körper verlassen kann. Das sogenannte Nine-Night-Ritual dient in erster Linie der Begleitung der Seele des Verstorbenen in das Reich der Toten. Es gibt den Hinterbliebenen die Möglichkeit zu trauern, jedoch werden Schmerz und Trauer im Stillen und geschützter Atmosphäre verarbeitet. Während der neuntägigen Zeit des Trauerns kommen traditionell Freunde und Familienmitglieder zu Besuch und spenden den Hinterbliebenen Trost. Am neunten Tag wird die Trauerphase dann mit einem großen Fest beendet, bei dem getanzt und gefeiert wird. Vor Mitternacht dürfen die dargebotenen Speisen jedoch nicht berührt werden, da der Geist des Verstorbenen diese Zeit benötigt, um ins Jenseits hinüberzugehen. Das fröhliche Fest ist für die Hinterbliebenen in der afrikanischen Tradition ein wichtiges Ereignis, um sich von der geliebten Person gebührend zu verabschieden.

Der langsame Prozess der Verarbeitung

Jeder Mensch ist anders. Wie sagt der Volksmund so schön «Die Zeit heilt alle Wunden». So ist es auch verständlich, dass jede und jeder anders den Verlust eines nahen Menschen verarbeitet. Auch wie lange eine Zeit des Trauerns anhält, ist von Mensch zu Mensch sehr unterschiedlich. Bereits Sigmund Freud sagte, dass Trauerarbeit dann zu Ende sei, wenn nach und nach der Kummer vergeht und der geliebte, verstorbene Mensch in den Hintergrund gerät. Freud stellte jedoch auch klar, dass dies kein Zustand sei, der einfach vergeht, sondern harte Arbeit. In den Siebzigerjahren forschte die Psychiaterin und Geistheilerin Elisabeth Kübler-Ross (US-Amerikanerin mit Schweizer Wurzeln) auf dem Gebiet der Trauer. Sie befasste sich mit dem Tod und dem Umgang mit Sterbenden, mit Trauer und der damit verbundenen Arbeit sowie mit Nahtoderfahrungen und ist einer der Begründer der modernen Sterbeforschung. Hauptsächlich aus Gesprächen mit Hinterbliebenen fand sie heraus, dass eine Realitätsverweigerung von Zurückgelassenen existiert und das Trauer verschiedene Phasen durchläuft, die über das Stadium des schmerzlichen Bewusstseins bis zum Akzeptieren des Verlustes erstrecken. Auch Trauerseiten und Gedenkseiten im Internet sind eine Art der Verarbeitung.

Diese Abläufe stellen aber kein Muster dar. Jeder Verlust und jedes Verhältnis zu einer verstorbenen Person und die mit ihm zusammenhängende Geschichte ist sehr unterschiedlich. So kann es passieren, dass Familienmitglieder oder Ehepartner, die einen Verstorbenen über Jahre gepflegt haben, den Tod als Erleichterung empfinden und sich dafür sogar schämen. Anderen wird der entstandene Verlust erst Wochen später richtig bewusst, wo sie doch dachten, bereits darüber hinweg zu sein. Andere trauen sich nicht einzugestehen, dass sie in Momenten der Trauer auch wunderschöne Momente erleben. So kann man den Prozess des Trauerns auch als eine Welle darstellen, was sich in einem Hoch und Tief der Gefühle widerspiegelt. Auch aufkommender Ärger und Zorn auf einmal alleine zu sein, der Aussichtslosigkeit und der Ablösung.

Wie sich Trauer offenbart, lässt sich nicht voraussagen. So wundern wir uns manchmal darüber, wie Hinterbliebene, die eine langjährige und glückliche Beziehung führten, schnell Zuflucht in einer neuen Partnerschaft suchen oder das ein Kind, dass einen Elternteil über lange Jahre gepflegt hat, den Gang zum Grab der geliebten Person einfach nicht bewerkstelligen kann.

Trauerbewältigung ist harte Arbeit

Es gibt kein Medikament, dass Trauer und Schmerz einfach auslöschen kann. Jeder Mensch kann nur für sich selbst herausfinden, wie er am besten mit seiner Trauer umgehen kann. Manchen Trauernden hilft es, mit Freunden oder in Trauergruppen darüber zu reden. Andere tragen ihre Trauer für sich alleine und suchen Hilfe in der Ruhe der Natur. Auch Gespräche mit der verstorbenen Person und das Lesen alter Briefe sowie das Betrachten alter Fotos bringt Hinterbliebenen Trost.

Menschen, die einen Menschen verloren haben, der ihnen nahestand, müssen sich komplett neu erfinden. Dazu kommt es des Öfteren vor, dass Freunde und Verwandte nicht mit dem Schmerz der trauernden Person umgehen können und sich zurückziehen. Hier offenbart sich eine gewisse Hilflosigkeit, die keine böse Absicht ist. Jedoch geraten Trauernde durch dieses Handeln der Außenstehenden noch mehr aus dem Gleichgewicht, weil die so wichtigen sozialen Kontakte abbrechen und sie sich noch einsamer fühlen.

Was kann Betroffenen in der Trauerphase Linderung verschaffen?

Trauer braucht Zeit. Experten raten davon ab, die Phasen des Trauerns mit Einnahme von Medikamenten zu verdrängen. Die meisten Menschen haben die Trauerphase nach einer gewissen Zeit überstanden, was jedoch nicht heißen soll, dass der Verstorbene nicht mehr in den Herzen und Gedanken der Verbliebenen zu finden ist. Aufhorchen ließ im Jahre 2013 die Ausgabe des amerikanischen Diagnosehandbuchs für psychiatrische Erkrankungen. Darin ist geschrieben, dass Trauer schon nach wenigen Wochen als behandlungsbedürftige Krankheit gilt. Zum Glück ist man in Europa von solch fragwürdigen Empfehlungen weit entfernt.

Aber auch in Europa wird der Umgang mit dem Tod aus dem öffentlichen Leben weitgehend verbannt. So wird Trauer als unzeitgemässes Empfinden dargestellt. Psychologen sehen darin den Grund, warum eine Großzahl der Menschen sich schwertun Gefühle zuzulassen oder zu offenbaren. Trauer wird auch öfters als Depression diagnostiziert. Natürlich sind Trauergefühle einer Depression sehr ähnlich. Jedoch verfliegt die Verzweiflung nach einer entsprechenden Zeit. Nur eine Minderheit von Hinterbliebenen kämpft über Jahre hinweg mit ständig aufloderndem Schmerz und nicht endender Trauer. Therapeutische Hilfe ist dann sinnvoll, da sich hinter nicht endenden Trauerschmerz auch ein Trauma verstecken kann.

Selbsthilfe

Wie in allen Situationen, die sich belastend auf die Seele ausüben, agieren Personen, die eine gewisse Widerstandskraft ihr Eigen nennen können, in den Phasen der Trauer positiver dem Leben gegenüber. Das zeigt nicht, dass diese Art von Menschen gefühlskalt ist. Es gelingt ihnen besser, die Realität anzunehmen und trotz Schicksalsschlägen optimistisch in die Zukunft blicken zu können.

Wichtig bei der Verarbeitung von Trauer ist diese zuzulassen. Betroffene sollten Rituale in ihren täglichen Tagesablauf integrieren, um am Ende den schmerzlichen Verlust besser akzeptieren zu können. Dargebotene Hilfe von Freunden und Verwandten, die sich zum Beispiel in einem Abendessen oder Hilfe im Haushalt zeigt, erleichtert den Betroffenen die Trauerbewältigung. Wichtig ist, dass Bewältigung von Trauer Zeit braucht. Manchmal mehr und manchmal weniger.